Die Glaswand

Samstag, stand es groß und schwarz auf dem Kalender. Drunter groß eine Zahl, bedeutungslos, denn sie änderte nichts. Der Monat verriet teilnahmslos den Beginn des Frühlings, welcher sich noch hinter einer gräulich leuchtenden Wolkendecke versteckte. Recht früh war es noch. Der Morgen angebrochen wie die Tage davor, die Wochen, die Monate. Es bedeutete nichts. Nur Zahlen wie die auf dem Schreibtisch. Gefangen und doch mächtig in den aufgehäuften Akten. Leblos und ergreifend, fesselnd lagen sie da und taten unschuldig. Aufgeräumt sah der Schreibtisch aus. Die Lampe darauf glühte nicht, einzig das große Fenster spendete ein kaltes fahles Licht. Dennoch saß ein Mann davor, sinnend, und starrte auf die dicke Holzplatte. Sein Gesicht müde, versuchte er es mit reiben zum Leben zu erwecken. Doch sein Blick blieb kraftlos, hilflos suchend. Wochenende war es, doch das kannte er nicht. Er wollte arbeiten. Die Akten wälzen, das musste er, denn die nächste Woche kam gewiss. Aber er bewegte sich nicht. Fand den Anfang nicht. Saß einfach nur da, makellos sein Erscheinen, gerade sein Rücken, sah er aus, als würde er jeden Augenblick loslegen. Doch die digitale Uhr zerstückelte die Zeit in Zahlen, leblos, bedeutungslos, und es änderte sich nichts. Die Wände ansich weiß, wirkten sie im matten Licht grau und kalt. Groß war der Raum und ließ alles leer erscheinen. Die weichen Ledersessel, verloren im Zimmer umher stehend, verteidigten sie mächtig den makellosen Eindruck von Luxus. Doch die Welt bekam Risse. Pochend schlug die Leere ihre Brechen in diesen Schein und drückte schwer auf den kalten Glanz. Der Mann hatte seinen Kopf in seine Hände sinken lassen und hielt sich mit ihnen die Ohren zu, als wollte er die Schreie ersticken, welche nur er hören konnte. Sie schrien nach ihm, als wollten sie ihm etwas sagen. Doch er wusste was diese Stimmen sagen wollten, und er wollte es nicht hören. Was wussten die schon – diese rastlosen Stimmen, die ihn auch in seinen Träumen verfolgten. Sie wollten ihn bremsen. Voller Neid waren sie wegen seinem Erfolg. Kein Wunder dass sie so verzweifelt schrien. Er verharrte, genau wie seine Einrichtung, beleuchtet vom fahlen Licht welches von den Wänden zurück geworfen wurde. Sein Rücken war dem Fenster zugewandt und so konnte er nur in seinen endlosen Raum hinein starren. Doch auch den sah er nicht. Er bedeutete ihm nichts. Endlich stand er auf. Langsam, als wäre er ein alter Mann. Sein Gesicht verzerrte sich zu einem tonlosen Gähnen, während er seine Arme auseinander riss als versuche er aus seinem Körper auszubrechen. Als er sich umdrehte stand er gleich vor dem Fenster, welches bis an die weit entfernte Decke reichte. Viele Meter lang war dieses und ersetzte eine ganze Wand. Weiß erschien der Himmel, stark durchflutet von Licht, die grauen Wolken, ohne dass die Decke irgendwo aufriss. Der Blick des jungen Mannes glitt langsam von einer Seite zur anderen. Gleichmäßig die Bewegung, unberührt von dem was er sah. Kein Hindernis stellte sich ihm in den Weg, nichts das seinen Blick fest halten konnte. Die Augen zugekniffen, geblendet von der gleichmäßigen Flut weißen Lichts, stand er da, leblos, wie die Sessel im Raum hinter ihm. Nur die Uhr wechselte ihr Gesicht, krampfhaft an der Zeit klammernd, die doch wie Wasser zerrann. Draußen eine weite Wiese, nach dem Winter noch ungemäht, war sie umrahmt von Hecken, einige Bäume standen verloren darin. Endlich schien der Mann etwas zu bemerken. Ihm fiel auf wie der Wind in den Ästen spielte. Er hielt den Atem an, horchte, doch das Rascheln der tänzelnden Blätter fehlte. Er strengte sich an, doch er fühlte nichts. Er stand einfach nur da. Starrte raus, und sah nichts. Es war ihm alles fremd, und so fern. Er versuchte sich zu erinnern, doch es blieb ihm verborgen. Die Welt da draußen, er hörte sie nicht, er fühlte sie nicht. Nah am Fenster wackelte ein Ast. Ein Vogel, eben gelandet, trällerte sein Lied. Doch nur der Schnabel bewegte sich. Das Fenster schluckte jedes Geräusch. Stummfilm, sein Leben, es war draußen, ausgeschlossen. So fern und unerreichbar wie jedes Gefühl. Wie ein Zeitzeuge starrte er genauso fasziniert wie gelangweilt durch das Glas. Sein Blick, wie der eines Mannes, der aus weiter Ferne die Welt wie durch eine Scheibe betrachtet. Gefangen in der Nüchternheit, der Leere seines Hauses. Wieder bewegte sich was. Ein Junge tanzte lachend auf dem Rasen. Wochenende, sein Sohn wusste das, und spielte mit dem Drachen. Ein Geschenk aus einer lange vergangenen Zeit. Hoch flog er, lebhaft spielten sie. Der Drache, sein Sohn und der Wind. So wie er es getan hatte – früher – in einer anderen Welt. In einer, in der er den Wind noch gespürt hatte. Als wäre es nur eine Erinnerung stand er da und starrte hinaus. Gefangen wie ein Fremder in seinem eigenen Körper. Sinnend drehte er sich um, sah den Schreibtisch. Das Gesicht der Uhr schrie ihn an. Eine andere Stimme war es. Mächtig, beide kämpften, wie Teufel und Engel auf seiner Schulter. Dann zog er seinen Stuhl hervor und setzte sich. Nahm wahllos eine Akte in seine Hand. Welche, war bedeutungslos. Ein letztes Mal drehte er sich um. Der Himmel leuchtend weiß blendete ihn. Wie einen Schatten sah er seinen Sohn lachen und weinen, sah wie dieser Glück empfand, würde es gerne mit ihm teilen, ihn in den Arm nehmen, aber er konnte es nicht, weil die Scheibe ihn zurück hielt. Und wenn er es trotzdem versuchen würde, würde er nur die Kälte des Glases spüren. Er würde erdrückt werden, weil die Welt so voll und er selbst so leer war.

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